Kritik als Wortklauberei

Veröffentlicht: 9. August 2017 in kapitalismus, linke, Politik
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Auf dem Blog „Der ganz normale Wahnsinn“, sind mittlerweile zwei Beiträge erschienen, welche vorgeben, den Artikel „100 Jahre Russische Revolution“ aus dem Gegenstandpunkt 2-17 zu kritisieren. Der erste Beitrag behandelt freilich kaum den Artikel, sondern kommt vor lauter Nebenkriegsschauplätzen lediglich zu einiger Wortklauberei über die Überschrift. Insofern bietet er zu wenig Inhalt, als dass man sich sinnvoll inhaltlich mit ihm befassen könnte. Der zweite Beitrag hängt sich zwar ebenfalls ausschließlich an der Verwendung einzelner Wörter auf, aber geht dabei wenigstens ein Stück weit auf den beanstandeten Text ein. Dabei ist die Autorin allerdings so sehr darum bemüht, einzelne Worte zu finden, an denen sie ihre Kritik festmachen kann, dass sie an den Argumenten im Text komplett vorbei schreibt.

Dies lässt sich an drei Beispielen festmachen (alle nicht anders gekennzeichneten Zitat sind aus dem zweiten Blogbeitrag), welche ich zu widerlegen beabsichtige. Da zudem methodisch bemängelt wurde, dass sich im GSP-Text zu sehr auf die Praxis in der UdSSR fokussiert werde, statt sich die theoretischen Schriften der Bolschewiki vorzunehmen, habe ich vor aufzuzeigen, dass die Praxis in der UdSSR durchaus ihren Bezug auf diese Schriften hatte.

1.)

„Gut 70 Jahre waren in Rußland, ca. 45 Jahre in etlichen osteuropäischen Ländern Kommunisten an der Macht.“

In manchen Ländern nannten sie sich gar nicht Kommunisten, wie in Ungarn oder der DDR. […] Ursprünglich startete die KPdSU als „Russische Sozialdemokratische Partei (Mehrheitler)“ in die Revolution. […] Man konnte den Politikern und Ideologen der entsprechenden Staaten immer ein gewisses Unbehagen mit dem Begriff Kommunismus anmerken. „Sozialismus“ war ihnen auf jeden Fall lieber, das ist ein schwammiger Begriff, in den man viel hineinfüllen kann. „Kommunismus“ enthält jedenfalls immer einen Hinweis auf Gemeineigentum und damit eine Gegnerschaft gegenüber dem Privateigentum.

Diese Trennung ist nicht sachgemäß.

a) Wenn die Bolschewiki ein Unbehagen gegen den Begriff Kommunismus gehabt hätten, wieso haben sie dann ihre sozialdemokratische Partei in eine kommunistische umbenannt? Das ist doch wohl eher ein Zeichen eines Unbehagens gegen den Begriff Sozialdemokratie, spätestens nachdem sich die europäische Sozialdemokratie ganz offen zur Unterstützung ‚ihres‘ jeweiligen Staates im 1. Weltkrieg bekannt hatte.

b) Zunächst einmal wurden die Begriffe „Sozialdemokratie“, „Sozialismus“ und „Kommunismus“ in der frühen Arbeiterbewegung nicht scharf voneinander abgegrenzt, waren schwammig und wurden häufig synonym gebraucht. Während in der link(sradikal)en Theorie, sowie im allgemeinen Sprachgebrauch mindestens im deutschsprachigen Raum, Kommunismus (Endziel, eine Planwirtschaft, in der „jeder nach seinen Fähigkeiten und jeder nach seinen Bedürfnissen gilt – von den Gegnern dann halt als unrealistische der Menschennatur widersprechende Spinnerei verworfen, die zu Elend und Gewalt führt, weil sie gegen die Menschennatur durchgesetzt werden müsse) und Sozialdemokratie (prokapitalistisch, pro bürgerlicher Staat, proimperialistisch, will das alles aber ein wenig arbeiterfreundlicher gestalten) klarer definiert wurden, ist Sozialismus tatsächlich immer noch ein schwammigerer Begriff. Er umfasst sowohl die ökonomische Seite des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus, ergänzt durch die politische Seite der Diktatur des Proletariats (hauptsächlich im ML), als auch das gemeinsame Endziel (synonym zu Kommunismus) der gesamten Arbeiterbewegung zu sein, welche ihn nur auf verschiedenen Wegen erreichen wolle.

c) Man müsste sich also anschauen, wie bspw. die SED den Sozialismus in ihrem Programm gemeint hat. Nämlich als das (angebliche) gemeinsame Endziel der vereinigten KPD und SPD, wobei im Parteiprogramm dann Sozialismus synonym zur marxistisch-leninistischen Kommunismusvorstellung verwendet wurde:

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands kämpft für die Verwandlung des kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln in gesellschaftliches Eigentum, für die Verwandlung der kapitalistischen Warenproduktion in eine sozialistische, für und durch die Gesellschaft betriebene Produktion. In der bürgerlichen Gesellschaft ist die Arbeiterklasse die ausgebeutete und unterdrückte Klasse. Sie kann sich von Ausbeutung und Unterdrückung nur befreien, indem sie zugleich die ganze Gesellschaft für immer von Ausbeutung und Unterdrückung befreit und die sozialistische Gesellschaft errichtet. […] Erst mit dem Sozialismus tritt die Menschheit in das Reich der Freiheit und des allgemeinen Wohlergehens ein.

(Quelle, S. 5; Hervorhebung von mir)

Die haben mit Sozialismus also keineswegs die Absicht bestritten, das Privateigentum an den Produktionsmitteln in gesellschaftliches Eigentum überführen zu wollen.

2.)

„Die Staatsräson des realen Sozialismus galt der Herstellung neuer gesellschaftlicher Verhältnisse“

ist irreführend, weil als die Verhälnisse neu waren, gab es den Realen Sozialismus noch nicht, und als es ihn gab, waren sie nicht mehr neu

Der reale Sozialismus war doch kein reiner Selbstzweck, sondern verstand sich auch als Übergangsgesellschaft zwischen Kapitalismus und einem (wie auch immer definierten) Kommunismus. (Zu diesem inneren Widerspruch im realen Sozialismus mehr bei 3.) Insofern wollte er in seiner Existenz durchaus neue gesellschaftliche Verhältnisse herstellen. „Realer Sozialismus“ hatte doch nicht ausschließlich die Seite, linke Kritikern das Erfolgsargument entgegenzuhalten, dass deren Sozialismus aber nicht real sei, also ihre Kritik auch nichts taugen könne, sondern er war auch der Anspruch, so viel Sozialismus umzusetzen, wie gerade – nach eigener Definition, was auch sonst? – möglich sei, mit der Tendenz des Voranschreitens zum Kommunismus. Der Widerspruch, den die Verfasserin da entdeckt haben will, ist folglich schlicht keiner. Was sie an anderer Stelle im Text auch durchaus selbst weiß:

Später war dann die Rede von einem „Übergang zum Kommunismus“, den dann Chrustschow für beendet erklärte.

Lenin schrieb dazu – bezugnehmend auf Marx‘ „Kritik des Gothaer Programms“ – in „Staat und Revolution“:

Das ist jedoch noch nicht Kommunismus, und das beseitigt noch nicht das „bürgerliche Recht“, das ungleichen Individuen für ungleiche (faktisch ungleiche) Arbeitsmengen die gleiche Menge Produkte zuweist.

Das ist ein „Mißstand“, sagt Marx, aber er ist in der ersten Phase des Kommunismus unvermeidbar, denn will man nicht in Utopien verfallen, so darf man nicht annehmen, daß die Menschen sofort nach dem Sturz des Kapitalismus lernen werden, ohne alle Rechtsnormen für die Allgemeinheit zu arbeiten, sind doch die ökonomischen Voraussetzungen für eine solche Änderung durch die Abschaffung des Kapitalismus nicht sofort gegeben.

[…]

Die ökonomische Grundlage für das vollständige Absterben des Staates ist eine so hohe Entwicklung des Kommunismus, daß der Gegensatz von geistiger und körperlicher Arbeit verschwindet, folglich eine der wichtigsten Quellen der heutigen gesellschaftlichen Ungleichheit beseitigt wird, und zwar eine Quelle, die durch den bloßen Übergang der Produktionsmittel in Gemeineigentum, durch die bloße Expropriation der Kapitalisten keinesfalls mit einem Schlag aus der Welt geschafft werden kann.

[…] Wie rasch aber diese Entwicklung weitergehen wird, wie schnell sie zur Aufhebung der Arbeitsteilung, zur Beseitigung des Gegensatzes von geistiger und körperlicher Arbeit, zur Verwandlung der Arbeit in „das erste Lebensbedürfnis“ führen wird, das wissen wir nicht und können wir nicht wissen.

Wir sind daher auch nur berechtigt, von dem unvermeidlichen Absterben des Staates zu sprechen. Dabei betonen wir, daß dieser Prozeß von langer Dauer ist und vom Entwicklungstempo der höheren Phase des Kommunismus abhängt, wobei wir die Frage der Fristen oder der konkreten Formen des Absterbens vollkommen offenlassen, denn Unterlagen zur Entscheidung dieser Fragen gibt es nicht.

(Quelle)

Der Sozialismus/ die erste Phase des Kommunismus‘ war für ihn also eine Übergangsgesellschaft, in der zum einen den Menschen ihre kapitalistische Sozialisation abgewöhnt werden, und zum anderen der Stand der Produktivkräfte auf vollen Kommunismus ermöglichend ausgeweitet werden sollte. Dass sich der GSP in seinem Artikel auf diese Vorstellung einer Übergangsgesellschaft seitens der Bolschewiki bezieht, steht übrigens auch explizit da:

Die Staatsräson des realen Sozialismus galt der Herstellung historisch neuer gesellschaftlicher Verhältnisse – einer Wirtschaftsordnung, die in ihren Zielsetzungen und Verkehrsformen ausdrücklich in Gegensatz zu den ökonomischen Maßstäben und Methoden des Kapitalismus steht. Für dessen Überwindung hatte die erste Generation der sozialistischen Staatsparteien noch unter der bürgerlichen Herrschaft gekämpft; nachdem diese Parteien an die Macht gekommen waren, haben sie unter dem Titel „Aufbau des Sozialismus“ [!; schakri] nicht nur alternatives Regieren einer ansonsten nach den Überkommenen Regeln funktionierenden Gesellschaft betrieben.

(Quelle: Gegenstandpunkt 2-17, Artikel: „100 Jahre Russische Revolution“, Kapitel: „Die politische Ökonomie des realen Sozialismus: Planmäßige Zweckentfremdung von Lohn, Preis und Profit als Alternative zum Kapitalismus“)

3.)

Im Weiteren wird ihm mitgeteilt, dieses System da drüben sei eine „Alternative“ gewesen. Alternative zu was? Zur Marktwirtschaft bzw. dem westlichen System von Geschäft und Gewalt?
Das unterstellt einerseits ein Gemeinsames. Das gleiche wird gemacht, nur auf andere Art. Was ist also das Gleiche? und was ist das andere?

Auch dem widersprichst die Autorin später sogar selbst, freilich ohne es sich einzugestehen:

In so einem ausdrücklichen Gegensatz stand sie vielleicht doch nicht zum Kapitalismus, weil da hätte sie sich nicht immer mit ihm gemessen.

Die haben also sehr wohl sogar selbst ein Gemeinsames zum Kapitalismus gesehen, denn dieses bildet die logisch notwendige Voraussetzung einer Konkurrenz zu ihm. Worum, wenn nicht um die bessere Umsetzung des (vermeintlich) Gemeinsamen, sollten sie sonst mit ihm konkurriert haben? Was sie als das Gemeinsame ausgemacht hatten, ist übrigens auch kein Geheimnis, weil die Realsozialisten nie eines daraus gemacht haben: die fortschrittlichen Produktivkräfte des Kapitalismus besser zu verwalten als die Kapitalisten, also diese Produktivkräfte von den Fesseln durch die Kapitalisten zu befreien, und sie somit arbeiterfreundlich zu ihrer vollen Entfaltung zu bringen.

Das hatte durchaus seinen Bezug auf die ML-Klassiker. So bspw. Engels in „Grundsätze des Kommunismus“:

13. Frage: Was folgt aus diesen sich regelmäßig wiederholenden Handelskrisen?

Antwort: Erstens: Daß die große Industrie, obwohl sie selbst in ihrer ersten Entwicklungsepoche die freie Konkurrenz erzeugt hat, jetzt dennoch der freien Konkurrenz entwachsen ist; daß die Konkurrenz und überhaupt der Betrieb der industriellen Produktion durch einzelne für sie eine Fessel geworden ist, welche sie sprengen muß und wird; daß die große Industrie, solange sie auf dem jetzigen Fuße betrieben wird, sich nur durch eine von sieben zu sieben Jahren sich wiederholende allgemeine Verwirrung erhalten kann, welche jedesmal die ganze Zivilisation bedroht und nicht nur die Proletarier ins Elend stürzt, sondern auch eine große Anzahl von Bourgeois ruiniert; daß also die große Industrie selbst entweder ganz aufgegeben werden muß, was eine absolute Unmöglichkeit ist; oder daß sie eine ganz neue Organisation der Gesellschaft durchaus notwendig macht, in welcher nicht mehr einzelne, einander Konkurrenz machende Fabrikanten, sondern die ganze Gesellschaft nach einem festen Plan und nach den Bedürfnissen aller die industrielle Produktion leitet.

(Quelle)

Auch Lenin folgt diesem Gedankengang, wenn er bspw. in Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus nachzuweisen versucht, dass jetzt aber wirklich die Zeit dafür gekommen sei:

Das ist schon etwas ganz anderes als die alte freie Konkurrenz zersplitterter Unternehmer, die nichts voneinander wissen und für den Absatz auf unbekanntem Markte produzieren. […] In seinem imperialistischen Stadium führt der Kapitalismus bis dicht an die allseitige Vergesellschaftung der Produktion heran, er zieht die Kapitalisten gewissermaßen ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen in eine Art neue Gesellschaftsordnung hinein, die den Übergang von der völlig freien Konkurrenz zur vollständigen Vergesellschaftung bildet.

Die Produktion wird vergesellschaftet, die Aneignung jedoch bleibt privat. Die gesellschaftlichen Produktionsmittel bleiben Privateigentum einer kleinen Anzahl von Personen. Der allgemeine Rahmen der formal anerkannten freien Konkurrenz bleibt bestehen, und der Druck der wenigen Monopolinhaber auf die übrige Bevölkerung wird hundertfach schwerer, fühlbarer, unerträglicher.

(Quelle)

Immer plastischer tritt als eine Tendenz des Imperialismus die Bildung des „Rentnerstaates“, des Wucherstaates hervor, dessen Bourgeoisie in steigendem Maße von Kapitalexport und „Kuponschneiden“ lebt.

[…]

Aus allem, was über das ökonomische Wesen des Imperialismus gesagt wurde, geht hervor, daß er charakterisiert werden muß als Übergangskapitalismus oder, richtiger, als sterbender Kapitalismus. […] Und derselbe Riesser, von dem diese Worte stammen, erklärt mit todernster Miene, daß sich die „Voraussage“ der Marxisten über die „Vergesellschaftung“ „nicht verwirklicht“ habe!

(Quelle)

Genau das ist übrigens auch einer der Kernpunkte der Kritik vom GSP an Lenins Imperialismusschrift:

So ist zwar der Imperialismus noch gar nicht vorgekommen, aber dafür wurde eine neue Kapitalismuskritik im Namen von Marx aus der Taufe gehoben. Hilfestellung leistete die seit Engels immer wieder gerne aufgelegte Platte vom gesellschaftlichen Produzieren (gut!) und vom privaten Aneignen (schlecht!). Dieser beliebte Widerspruch, der mit dem in der Warenanalyse bezeichneten Gegensatz von privater und gesellschaftlicher Arbeit herzlich wenig zu tun hat, beruht schon in seiner Urfassung auf einer hohen Meinung vom gesellschaftlichen Charakter der Produktion, für den der Kapitalismus ein dickes Plus erntet, obwohl er diese Qualität mit jeder Produktionsweise teilt. Seine gesellschaftliche Form der Produktion, die Sache mit dem Privateigentum, das den Reichtum seinen Produzenten als Kapital gegenüberstellt und sie für sich arbeiten läßt, gerät dann zur schlechten Seite des Kapitalismus, der ja wie alles vergänglich Ding zwei Seiten braucht. Bei Lenin wächst sich diese Dialektik […] zu einem neuen Stadium aus. Das Monopol, das angestrebt wird, um privaten Reichtum ausschließend gegen andere zu vermehren, macht alles gesellschaftlicher – schließlich findet immer mehr Eigentum auch noch anderer für die gemeinsamen Zwecke Verwendung -, so daß die private Aneignung erst richtig zum Himmel schreit.

(Quelle)

Was der Artikel in 2-17 nun sagt ist, dass die Realsozialisten nicht nur auf diesen Fehler beharrt, sondern dass sie ihn soweit radikalisiert haben, dass es ihnen ernsthaft um eine Konkurrenz mit den bürgerlichen Staaten darum ging, der bessere Staat zu sein. Wodurch auch das – trotzdem vertretene – Ziel, die kommunistische Gesellschaft aufzubauen und gegen ihre Feinde durchzusetzen, und somit auch das „Absterben des Staates“ (Lenin) herbeizuführen (s. 2.), in den Hintergrund getreten ist:

Die realen Sozialisten, die sich stets gern als Erben ihrer Berufungsinstanzen präsentierten, waren in dieser Hinsicht von Anfang an anderer Auffassung. Ihrem Staat haben sie eine bleibende Rolle zugeschrieben […]. […] [Er] hat eben nicht „nur“ die Aufgabe, die Umwälzung der Produktionsverhältnisse vorzunehmen und gegen ihre Feinde zu sichern; [er] organisiert nicht einfach die zweckmäßige Arbeitsteilung und Kooperation sowie die technischen Verbesserungen der Produktivkräfte, von der die Massen etwas haben. […] Er übernimmt die kapitalistische Wertrechnung, um ihre Resultate dem Privateigentum zu entziehen und den Reichtum per staatlicher Verfügung zu sozialisieren – und damit korrigiert er sie auch erheblich.

Allerdings ist dieser Entscheidung für die historische Mission der Staatsmacht im Sozialismus – noch vor jeder Befassung mit den Techniken der „Planung und Leitung“ im realen Sozialismus des 20. Jahrhunderts – eine andere Sorte Kapitalismuskritik zu entnehmen als die, welche auf die Überwindung der bürgerlichen Klassengesellschaft und der ihr gemäßen Staatsgewalt zielt. Der östliche Marxismus hat sich offenbar auf einen Vergleich mit dem Kapitalismus verlegt, der sich explizit oder implizit an „gesellschaftlichen Aufgaben“ orientiert, die in beiden Systemen bewältigt werden müssen und der Staatsmacht obliegen. In diesem Vergleich schneidet der Sozialismus gut ab, insofern er Dinge erledigt, die mit den Zielsetzungen, Notwendigkeiten und Erfolgskriterien des Kapitalismus nichts zu schaffen haben, ihm allerdings als Versagen zur Last gelegt werden.

[…]

Die Liste der Mängel, die dem Kapitalismus zur Last gelegt werden und den Sozialismus auf den Plan rufen, relativiert den „klassischen“ Vorwurf gegen das Ausbeutungsverhältnis zwischen Kapital und Arbeit, das die Politik des Klassenstaates betreut, sehr gründlich. […] Vielmehr geraten sämtliche Nachteile und Nöte, Ärgernisse und Opfer der lohnabhängigen Massen zur Konsequenz eines Versagens – und zwar der politischen Herrschaft im Kapitalismus, eines Versagens vor den Gesetzen, die zu befolgen eine verantwortungsbewußte, den geschichtlichen Aufgaben verpflichtete Staatsmacht gehalten ist.

(Quelle: Gegenstandpunkt 2-17, Artikel: „100 Jahre Russische Revolution“, Kapitel: „Die politische Ökonomie des realen Sozialismus: Planmäßige Zweckentfremdung von Lohn, Preis und Profit als Alternative zum Kapitalismus“)

Das beanstandete „Alternative worin und zu was?“, weswegen „Alternative“ nicht verwendet werden dürfte, wird also sogar explizit im kritisierten Text beantwortet: eine arbeiterfreundliche Alternative zum der Ansicht der kommunistischen Staatsparteien nach immanent notwendigen kapitalistischen Staatsversagen bei der Betreuung der Produktivkräfte und der Lohnabhängigen.

Kommentare
  1. Krim sagt:

    Beteilige dich bitte bei Nestor an der Diskussion

  2. Zu Seitenthema der Kapitalismuskritik der Bolschewiki und den daraus folgenden Konsequenzen hast Du doch schon alles gesagt. Danke dafür.

    Zu neoprenes Einwänden gegen meine Kritik an NMs Text habe ich jetzt einen Kommentar geschrieben.

  3. Krim sagt:

    Na ich habe mir halt ein bisschen Unterstützung erhofft oder das eine oder andere zusätzliche Zitat, gegen den Vorwurf die SU-Führung hätte das Geld und den Systemwettbewerb gar nicht gewollt.

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